Matthieu Belondrade, Head of Global Emerging Markets Equities, Natixis Asset Management
"Im ersten Halbjahr 2014 haben sich die Erwartungen hinsichtlich des BIP-Wachstums in Lateinamerika nicht erfüllt. Denn Brasilien spürt allmählich die Konsequenzen des monetären Verschärfungszyklus, der im April 2013 von der dortigen Zentralbank eingeleitet worden war. Experten rechneten anfangs noch mit einem BIP-Wachstum von fast 2,5%. Mittlerweile ist ein Wachstum von lediglich 1,5% bis 2,0% in Aussicht. Allerdings bestehen hier noch Risiken für einen Rückschlag.
Der brasilianische „Real“, der gegenüber dem US-Dollar zurzeit bei knapp 2,25 gehandelt wird, ist nach wie vor überbewertet. Aus diesem Grund konnten die Investitionsaktivitäten bisher nicht anziehen. Gleichzeitig wird das Wachstum der Reallöhne sowie das Konsumwachstum durch ein schwächeres Wirtschaftswachstum belastet. Negativ wirkt sich auch eine hohe Inflation von über 6% aus.
Neben diesen zyklischen Faktoren gibt es aber auch strukturelle Probleme: Diese sind etwa die hohen Lohn- und Kapitalkosten, die mangelhafte Infrastruktur sowie die aktuellen aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen. Diese könnten nach der Fußball-Weltmeisterschaft bis zu den Präsidentschaftswahlen im Oktober eine neue Welle sozialer Unruhen auslösen. Allerdings ist es Brasilien trotz dieses düsteren Umfelds gelungen, sich von den Aktienmärkten Lateinamerikas am besten zu entwickeln (auf Basis des MSCI Brazil-Index im Vergleich zum MSCI Emerging Markets Latin America-Index vom 1.1.14 - 20.6.14). Anleger halten eine erneute Wahl von Dilma Rousseff bei den im Oktober anstehenden Präsidentenwahlen für unwahrscheinlich, da ihr Beliebtheitsgrad inzwischen stark gesunken ist. Aufgrund dieser Unsicherheiten ist unsere Beurteilung von Brasilien als Anlageregion eher neutral.
Mexiko profitiert vom US-Wachstum
In der zweiten Jahreshälfte 2014 dürfte Mexiko von den robusteren US-Wirtschaftsaktivitäten profitieren. Obwohl die Wirtschaftsdaten von Mexiko zuletzt schwächer ausgefallen sind, dürfte das BIP-Wachstum wieder ansteigen und auch im Jahr 2015 hoch bleiben. Gleichzeitig sollte die Inflation auf einem für die Notenbank sehr akzeptablen Niveau bleiben. Auf längere Sicht rechnen wir damit, dass die Reformen der Pena-Nieto-Regierung das BIP-Wachstum um 1% bis 2% steigern könnten.
Von den Anden-Anrainern bevorzugen wir auch weiterhin die Börsenplätze Peru und Kolumbien, weil diese Märkte bessere Wachstumstrends aufweisen. Wir erwarten dort für das zweite Halbjahr 2014 ein BIP-Wachstum von 5,3% bzw. 4,5%. In Chile dagegen besteht unter der neuen Bachelet-Administration derzeit Unklarheit hinsichtlich der politischen Reformen. Deshalb ist dieser Markt für uns nicht so attraktiv.
Wie geht es mit Russland weiter?
Das volkswirtschaftliche Umfeld in Russland hatte sich bereits vor dem Ausbruch des politischen Konflikts mit der Ukraine eingetrübt. Zu Beginn dieses Jahres war man für dieses Land in 2014 eigentlich von einem BIP-Wachstum von knapp 2,0% ausgegangen. Inzwischen erwarten wir aber ein BIP-Wachstum von lediglich 0,5% bis 1,0% – und dabei bestehen durchaus noch Rückschlagrisiken. Schließlich lassen sich die Folgen der diplomatischen Krise und Auswirkungen auf die Investitionen sowie das Verbrauchervertrauen derzeit noch nicht abschätzen. Allerdings machen die zuletzt wieder stabileren Rohstoffpreise, ein schwächerer Rubel sowie ein günstiges Bewertungsniveau diesen Markt vor allem für exportorientierte Unternehmen vergleichsweise attraktiv.
Innerhalb der EMEA-Region halten wir die Märkte Mittel- und Osteuropas nach wie vor für die größten Nutznießer der Konjunkturerholung in Europa, die im zweiten Halbjahr 2013 eingesetzt hat. Der Euroraum – allen voran Deutschland – bleibt für die mittel- und osteuropäischen Staaten der wichtigste Handelspartner. Deshalb sind die so genannten CE3-Länder Polen, die Tschechische Republik und Ungarn optimal positioniert, um 2014 und 2015 von der sich wieder erholenden Wirtschaft in Europa zu profitieren."