Erste AM: A brief history of time.. and markets

In den 1960er-Jahren erkannte der Mathematiker Benoit Mandelbrot etwas, das erfahrene Börsenhändler schon seit langer Zeit wussten: dass die Zeit an der Börse nicht immer gleich schnell verging. Unter Zuhilfenahme der Fraktaltheorie zeigte Mandelbrot, wie sich die Zeit am Aktienmarkt (Handelszeit, Börsenzeit) anders verhielt, als wir dies von normaler Zeit gewohnt waren. Erste Asset Management | 04.07.2018 11:18 Uhr
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„Handelszeit beschleunigt sich in Perioden hoher Volatilität und verlangsamt sich wieder in Perioden von Stabilität,“ wie er in seinem Buch „The (Mis)Behaviour of Markets: A Fractal View of Risk, Ruin, and Reward.” (“Fraktale und Finanzen: Märkte zwischen Risiko, Rendite und Ruin”) schreibt – und die Daten geben ihm recht.

Zum Beispiel, wenn man in den vorangegangenen fünf Jahrzehnten als Investor nur 25 der profitabelsten Tage verpasst hätte, würde diese mit einer Verringerung des Gewinns auf Basis von US-Aktien um die Hälfte einhergehen (CAGR 3,4% statt 6,7%). Lediglich 25 Tage über 50 Jahre! Dies zeigt, dass Börsengewinne nicht normalverteilt sind, sondern dass, ganz im Gegenteil dazu, das letztliche Ergebnis von Randereignissen geprägt ist. Zeit vergeht uneinheitlich. An einzelnen Tagen passiert mehr als in anderen Jahren.

Die Relativität der Zeit

 „Ja und?“, könnte man dem entgegenhalten. Dies zeigt einfach, wie unberechenbar die Märkte sind, und das ist schließlich keine Neuigkeit. Natürlich nicht. Aber es zeigt auch einen anderen, weit wichtigeren Aspekt von Börsenveranlagungen: und zwar, dass der Aktienmarkt kein Konstrukt von diversen Financiers und Unternehmern ist, sondern vielmehr die grundsätzliche Natur der Gesellschaft, oder gar der Natur selbst, widerspiegelt. In anderen Worten, dass er nicht künstlich, sondern natürlich und echt ist.

Die Relativität von Zeit ist natürlich nicht nur für Finanzmärkte der Fall. Sie wurde als wissenschaftliche Theorie von Albert Einstein postuliert, aber tritt auch in anderen, weniger offensichtlichen Varianten zutage – z.B. in der Literatur oder der Psychologie.

Laut Einstein vergeht Zeit schneller in der Nähe von großer Masse, und ihr Ablauf verändert sich auch in Relation zur Geschwindigkeit des Betrachters. Einsteins Schlussfolgerungen mögen uns unpraktisch erscheinen – wir befinden uns selten in der Nähe eines Schwarzen Lochs, noch bewegen wir uns mit Lichtgeschwindigkeit, was uns die Möglichkeit gäbe, die Ausdehnung der Zeit am eigenen Körper zu erleben – aber ihre Auswirkungen sind unstrittig. Einstein stellte auch fest, dass die Zeit möglicherweise nicht nur in eine Richtung verging, wie wir das zu sehen pflegen. Dieses Attribut wird von unserer Wahrnehmung kreiert, wie Stephen Hawking in seinem Buch „A Brief History of Time“ („Eine kurze Geschichte der Zeit“) erläuterte. Diese Parallele wird uns nachher noch zugutekommen. Nunmehr folgen drei weniger wissenschaftliche, aber vielleicht anschaulichere Beispiele.

Drei Beispiele – Jung, Ulysses und Notre Dame

  1. Bei der Untersuchung des Unbewussten, d.h. des unterschwelligen, kollektiven Erfahrungsschatzes der Menschheit, der sich nur durch tradierte Phänomene manifestiert (man beachte die Analogie zur Börse, welche ebenso unterschwelligen Wert mit hergeleitetem Preis verknüpft), widmete der Psychologe Carl Gustav Jung seine Aufmerksamkeit den Träumen. Er zeigte, dass Träume nicht im Geringsten willkürlich sind, sondern dass sie wichtige Information über den Zustand des Unbewussten beinhalten. Das Problem ist, dass kollektive Erfahrungen, d.h. auch Träume, sich nicht unserer traditionellen Vorstellung von Kausalverknüpfungen und Zeitlinie unterordnen. Im Traum passiert beispielsweise etwas, und einer der Charaktere entscheidet sich dann dazu, die Geschichte wieder zurück an den Anfang zu führen und die Handlung nochmals, aber auf unterschiedliche Art und Weise, ablaufen zu lassen. In der „wirklichen“ Welt ist das unmöglich, aber Träume zeigen sich von dieser Unmöglichkeit unbeeindruckt. Auch zeigt die moderne Gehirnforschung, dass Träume plötzlich über einen hereinbrechen und nur wenige Sekunden dauern, jedoch einen gefühlten Zeitabdruck von bis zu einer Stunde im menschlichen Gehirn hinterlassen. Traditionelle Zeitmodelle funktionieren nicht im Zusammenhang mit dem Unbewussten.
  2. Ein weiteres Beispiel lässt sich in James Joyces Roman Ulysses finden. Obwohl es sich um eine Variation von Homers Epos handelt (Parallelen sind sowohl bei Ausmaß und hinsichtlich der Kapitelnamen zu finden), findet die Handlung an nur einem Tag statt. Joyce reduziert erfolgreich den Zeitrahmen, während er in der Lage ist, die Stattlichkeit des Originals beizubehalten. Darüber hinaus wird der Effekt durch die scheinbare Diskrepanz zwischen männlichen und weiblichen Elementen noch verstärkt. 17 der 18 Kapitel werden vom männlichen Standpunkt aus erzählt, während nur das Schlusskapitel aus der Sicht einer Frau geschildert wird. Dies würde allerdings nur jemandem als ungerecht erscheinen, der das Buch nicht wirklich gelesen hat. Das weibliche Element ist keineswegs stummer Beobachter; das Gegenteil ist der Fall. In seinem letzten Kapitel vermeidet Joyce jedwede Form von Interpunktion (was die verbundenen, kaskadenhaften Gedankenstränge nur noch eindringlicher erscheinen lässt) und erzählt im Prinzip die gleiche Geschichte, aber in weitaus kürzerer Zeit. Somit widersetzt sich die Handlung von Ulysses ebenfalls dem traditionellen Zeitbegriff.
  3. Das letzte Beispiel bringt uns zurück an den Finanzmarkt. Wissenschaftler der Notre Dame University stellten fest, dass die Empfängnis-Wachstumsrate einige Quartale vor Wirtschaftsabschwüngen zu sinken begann. Das bedeutete, dass es sich hierbei nicht lediglich um eine prozyklische Reaktion auf ein unfreundlicheres Umfeld handelte, wie bis dahin angenommen worden war, sondern, dass Frauen auf unbewusste Art und Weise anstehende Probleme antizipierten und darauf reagierten, indem sie ihre biologischen Uhren verlangsamten. All dies legt den Verdacht nahe, dass die Finanzmärkte zu einem breiteren Strom des Lebens gehören, wo Zeit nicht linear abläuft.

Mathematische Modelle

Dies hat für Anleger zwei bedeutende Konsequenzen. Sie müssen beim Einsatz mathematischer Modelle (DCF, CAGR, WACC, ROIC etc.) Vorsicht walten lassen, da diese auf der Basis linearer Zeit berechnet werden. Die Modellierung wird sehr komplex, wenn man nicht weiß, ob – überspitzt formuliert – die gesamte nächste Dekade nicht eventuell in Laufe des kommenden Jahres stattfinden wird. Analog dazu muss der Investor die Wichtigkeit, oder gar wegweisende Relevanz, einzelner Ereignisse anerkennen. Was, wenn es vonnöten ist, in die Produktion zu investieren, einen Wettbewerber aufzukaufen, oder heute ein Patent anzumelden, da gerade heute ein Slot offen ist und es morgen zu spät ist? In einer Welt nicht-linearer Zeit könnte das Warten auf morgen den Verlust eines über Jahre aufgebauten Wettbewerbsvorteils bedeuten (Beispiele dafür gibt es am Markt zuhauf!), da es unklar ist, wie schnell die Zeit vergehen wird.

Diese Fallstricke können viele bei dem Versuch entmutigen, die Märkte zu verstehen, aber ich glaube, dass sie auch eine Empfehlung dahingehend beinhalten, wie man mit Unsicherheit umgehen sollte: durch die Betonung des gegenwärtigen Moments und der Unendlichkeit. Wenn Zeit ungleichmäßig vergeht und wir Veränderungen im Zeitenstrom nicht vorhersagen können, so ist die einzig vernünftige Strategie, sich auf zwei Grenzpunkte zu konzentrieren – die Gegenwart und die Unendlichkeit. D.h., sein Tun auf das Jetzt zu richten, so gut es geht, und den Veranlagungshorizont auf unendlich zu setzen.

Es wurde schon viel über die Fähigkeit, im gegenwärtigen Augenblick zu leben, geschrieben, und ich werde dieser umfangreichen Bibliographie hier nichts hinzufügen. Die Unendlichkeit, das ist eine andere Geschichte, denn wir denken selten außerhalb der Begrenzung unseres Lebens. In einer demokratischen Gesellschaft sind nur wenige Dinge an diesen unscharfen Extrempunkt geknüpft, denn wir schätzen endliche Intervalle mit der Möglichkeit, Eckpfeiler im Sinne der Gerechtigkeit zu verändern (politische Bedingungen, Dienstverträge, Mietverträge, Kreditkonditionen usw.). Wir sind bestrebt, den Einfluss „guter Herkunft“ zu reduzieren und wir stellen uns gegen Elitedenken und Vetternwirtschaft – gegen das Laster des Machttransfers ohne dementsprechenden Verdienst. Wir fürchten den Begriff „für immer“, sei es in aristokratischem oder kommunistischen Kontext, da es zu Stagnation und Ineffizienzen führt. Und trotzdem kann ein unendlicher Veranlagungszeitrahmen nützlich sein.

Protestantische Ethik

Diese Nützlichkeit rührt von der Tatsache, dass wir erkennen, dass die Schaffung von Wohlstand auf den Prinzipien der von Weber beschriebenen protestantischen Ethik beruht; also auf aufgeschobenem Konsum, Reinvestitionen, Zinseszins, und all das am besten ohne Zeitbeschränkung. Wir wissen auch, dass der Endwert, d.h. im Prinzip eine Modellierung der Unendlichkeit, jener Parameter ist, der beim DCF-Modell das Ergebnis am stärksten beeinflusst, und somit stellte es einen herben Verlust für unser Weltbild dar, wenn wir uns vom Versuch verabschiedeten, besagten Wert zu verstehen (und stattdessen das BIP-Wachstum als Wachstumssurrogat für alle Unternehmen verwendeten). Die Unendlichkeit in Betracht zu ziehen, bedeutet nicht, dass wir niemals unsere Aktien verkaufen. Wir wollen lediglich auf Basis des Unendlichkeit-Aspekts denken (beispielsweise wie ein Aristokrat über seine Familie); es steht uns hingegen frei, opportunistisch zu handeln (wie reine Kapitalisten).

Beim unendlichen Zeitrahmen handelt es sich „nur“ um ein Gedankenexperiment mit dem Zweck, uns in die richtige psychologische Ausgangslage zu versetzen. So man es akzeptiert, wird man sich weniger um Inflation, Quantitative Easing, Shiller’s P/E oder ähnliche Phänomene sorgen, da sie angesichts der Unendlichkeit verblassen. Was uns dann am meisten interessiert, sind die Menschen, die das Unternehmen leiten, welches wir ausgewählt haben. Sind sie gut, so werden sie sich an neue makroökonomische Situationen ebenso wie an technologische und gesellschaftliche Veränderungen anpassen, und sollte das Umfeld so ungünstig sein, dass es besser wäre, das Unternehmen abzuwickeln, täten sie dieses zeitnah und gäben den Investoren ihr Geld zurück. Sie werden einen problemlosen Betrieb sicherstellen, da sie in der Lage sind, verlässliche Nachfolger zu wählen, die, wie in der Natur, garantieren, dass der Zyklus weitergeht.

Buffets Familie

„Er ist eine der drei Personen, die meine Kinder aufziehen könnten – und dabei sind meine Frau und ich schon miteingerechnet,“ sagte Warren Buffet über einen seiner Manager. Seine Intuition geht in die richtige Richtung. Die Überlegungen zum Thema Zeit und Wohlstand können nirgendwo anders enden als bei der Betrachtung der Kontinuität menschlicher Existenz. „Wenn wir etwas Großes im Leben verpassen, haben wir das Leben verpasst,“ sagt Carl Jung. Mit „etwas Großes“ meint er die Ewigkeit. Denn nur eine Beziehung zur Unendlichkeit „zeigt uns das Wesentliche und führt dazu, dass wir uns nicht mit Trivialitäten aufhalten“. Wenn wir diese Philosophie erfolgreich umsetzen, beginnt die Ewigkeit in jedem einzelnen Moment unseres Lebens, und wir schöpfen unsere Kraft, uns in diese Richtung zu transformieren, genau daraus. In solch einem Moment sind Gegenwart und Unendlichkeit eins, und jeglicher Fluss kann zur Ruhe kommen. Aus diesem Grund sind sie die beste Antwort auf das Paradoxon nicht-linearer Zeit, welches, wie Einstein und Hawking genau wussten, nur aus Ungenauigkeiten unserer Sprache und unseres Denkens entspringt.

Mikuláš Splítek, Fondsmanager, Erste Asset Management Tschechische Republik

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