Die in Russland stattfindenden Demonstrationen deuten unseres Erachtens nicht auf einen Reformstop in Russland hin, sondern werden die Reformagenda 2012 deutlich verstärken. Der teilweise gebrauchte Vergleich mit den Vorgängen um den arabischen Frühling trifft keinesfalls auf Russland zu. Während die einzelnen Vorgänge auf politischer und ökonomischer Ebene in Russland schwer vorherzusagen sind, kann dennoch eine entschiedene Richtungsvorgabe seitens der Regierung und der Präsidentschaftskanzlei ausgemacht werden. Die einzelnen Felder der Reformagenda können klar umrissen werden und beziehen sich auf politische, wirtschaftliche und strukturelle Liberalisierungsvorhaben. Klar ist auch, dass es einer Politik der klaren Umsetzung bedarf, um Fortschritte zu erzielen, besonders nach dem Versanden früherer Versuche. Ein deutlicher Unterschied zu der Situation in den letzten Jahren ist die Tatsache, dass Putin als Präsident nun deutlicher das Heft in die Hand nimmt und zur „Chefsache“ erklärt hat.
Oppositionspolitik
Die deutlich feststellbare Resignation der russischen Bevölkerung hinsichtlich der Regierungspartei „Vereinigtes Russland“ ist klar nachvollziehbar und macht einen politischen Wechsel in den kommenden Jahren sehr wahrscheinlich. In dieser Hinsicht sind drei Belange von großer Wichtigkeit. Erstens ist Putin nicht mit der Partei „Vereinigtes Russland“ gleichzusetzen und wird sich als Präsident als Reformkraft positionieren. Langfristig gehen wir von einer Machtablösung durch eine liberale, flexiblere Organisation aus. Die derzeitigen Parteikader werden verschwinden. Zweitens gibt es innerhalb des politischen Spektrums keine wirkliche Alternativen die weite Teile der russischen Bevölkerung ansprechen würden. Drittens sind die letzten 10 Jahre eindeutig als wirtschaftliche Erfolgstory zu bezeichnen, die so etwas wie eine „Mittelklasse“ in Russland erst entstehen ließ. Dies steht in deutlichem Kontrast zu der Situation in den Ländern des arabischen Frühlings.
Marktausblick
Die negative Reaktion des Marktes auf Presseberichte über Demonstrationen ist nachvollziehbar. Sie wird jedoch mit zunehmender Kommunikation über die tatsächliche Situation weichen, so dass der russische Aktienmarkt zu den Hauptnutznießern der Reformagenda zählen könnte (Stichwort Pensionsreform).