Post-Brexit: Wie steht es um den europäischen Immobilienmarkt?

In einem exklusiven Gastkommentar werfen die Immobilien-Experten Cécile Blanchard, Director von Real Estate Market Research & David Rendall, CEO von La Française Forum Real Estate Partners, einen Blick auf die aktuelle Verfassung der europäischen Immobilienmärkte: Markets | 02.08.2016 08:33 Uhr
©  Melinda Nagy - Fotolia
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"Der weitgehend unerwartete Brexit hat politische Unruhen in Großbritannien erzeugt mit erheblichen finanziellen Nebenwirkungen auf der ganzen Welt und weitreichenden langfristigen strategischen Konsequenzen. Die Europäische Union wird dabei etwa 13% ihrer Bevölkerung, 18% ihres BIP und einen Freihandels-Champion verlieren.

Die unsichere Lage wird spürbar negative Auswirkungen auf das BIP-Wachstum des Vereinigten Königreichs und auf seine primären Handelspartner haben. Jedoch sollte die erleichterte Geld- und Haushaltspolitik im UK die Nachfrage aufrechterhalten.

Die wichtigste Folge des Brexit ist der Absturz der Zinsen von 10-Jahres-Staatsanleihen rund um den Globus: 30 Basispunkte in der Eurozone, 40 Basispunkte in den USA und 60 Basispunkte im Vereinigten Königreich selbst. Sogar Japan und die Schweiz verzeichnen einen weiteren Fall bei bereits negativen Zinsen. Im Ergebnis sollte die breitere Streuung von Anfangsrenditen für Spitzenbüroobjekte und die darauf folgende Abwertung des Sterlings den britischen Immobilien-Investmentmarkt unterstützen.

Der Immobilienmarkt in Kontinentaleuropa profitiert sowohl von einer höheren Risikoprämie als auch von möglichen Verschiebungen der Nachfrage von London hin zu den wichtigsten Metropolen in der EU.

Der Brexit ist nicht zwangsläufig ein isoliertes Ereignis. In der EU wird es weitere wichtige politische Ereignisse im kommenden Jahr geben: das im November anstehende italienische Verfassungsreferendum, 2017 dann die französische Präsidentschaftswahl und die Bundestagswahl in Deutschland. Die grundlegenden historischen Entwicklungen prägen nach wie vor die politische Landschaft und können zu einem ähnlichen Ergebnis in anderen Teilen Europas führen.

Wirtschaftliche Situation

Das größte Problem in der aktuellen Situation ist die Unsicherheit, wie die britische Zukunft außerhalb der Europäischen Union aussehen wird, was den Brexit zu einem Sprung ins Ungewisse macht. Zwar gibt es keinen Zweifel, dass diese Entscheidung erhebliche Folgen für die Handelsbedingungen zwischen Großbritannien und der Eurozone haben wird, vieles aber hängt noch vom Ergebnis der künftigen Verhandlungen ab.

Nach dem Brexit wird die EU sicherlich weiterhin der weltweit größte Markt und der größte Handelspartner des Vereinigten Königreichs bleiben. Während sich einige wirtschaftliche Vorteile aus der europäischen Integration ergeben, sind sie mit den politischen Kosten verbunden, einen Teil der Souveränität aufzugeben. Innerhalb wie auch außerhalb der EU ist diese Abwägung unvermeidlich. Ob das UK das sogenannte norwegische oder das Schweizer Modell übernimmt oder alleine seinen Weg als Mitglied der WTO geht, bleibt abzuwarten. Dies wird jedoch nicht die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Großbritannien und Europa beenden noch die Notwendigkeit für beide Seiten, einen wirksamen Weg zu finden, um auf dem wettbewerbsintensiven globalen Markt zu agieren.

Die politische Landschaft verändert sich schnell, insbesondere mit dem Rücktritt der meisten führenden Brexit-Befürworter und der Wahl von Theresa May zu David Camerons Nachfolgerin als Parteivorsitzende der konservativen Partei und Premierministerin. Die schnelle Wahl einer neuen Premierministerin sollte die Märkte zumindest beruhigen und dem Vereinigten Königreich und der EU ermöglichen, den langen Prozess der Verhandlungen zu beginnen, damit das UK sein Recht gemäß Artikel 50 ausüben kann.

Prognose für Immobilien im Vereinigten Königreich

In Bezug auf die Immobilienmärkte soll zunächst das Vereinigte Königreich betrachtet werden. Die Wirtschaft im Allgemeinen ist gesund mit einem BIP-Wachstum von 2,2% und einer Arbeitslosenquote von 5,1% – dem niedrigsten Stand seit Oktober 2005 (Stand: Dezember 2015). Das größte kurzfristige Risiko besteht in der negativen Reaktion auf die politische Unsicherheit und wie die Verhandlungen mit der EU verlaufen werden. Dies führt wahrscheinlich zumindest dazu, die Entscheidungen von Immobiliennutzern zu zukünftigen Raumanforderungen zu verlangsamen, was die Büroflächenumsätze insbesondere in London beeinflussen wird.

Die öffentlichen Märkte haben bereits auf die negativen Aussichten reagiert. Beispielsweise leidet Great Portland Estates unter einem um 24% gefallenen Aktienkurs. Über die verschiedenen REITs in Großbritannien hinweg erwarten Aktienanalysten um 20 bis 30% fallende Bewertungen.

Privatanleger möchten Geld aus offenen Immobilienfonds abziehen. Eine hohe Liquidität war bisher nicht ausreichend, also wurden eine Änderung der Preisbasis und die Aussetzung von Entnahmen eingeleitet. Jedoch stellt dieser Markt weniger als 5% des UK-Marktes dar, sodass möglicherweise einige der Reaktionen übertrieben sind. Wahrscheinlich werden Immobilien für den Verkauf freigegeben, um Tilgungen zu ermöglichen. Diese Vermögenswerte dürften sich allerdings am unteren Ende des institutionellen Spektrums befinden.

Öffentlich im Retailsektor gehandelte Aktien, die bereits unter den Herausforderungen des E-Commerce und den Veränderungen im Konsumverhalten gelitten haben, reagierten auf die Aussicht niedrigerer Konsumausgaben aufgrund der Abwertung des Pfunds. Die am stärksten betroffenen Unternehmen sind jene, die bereits vor dem Brexit mit Problemen kämpfen mussten. Dazu gehören Debenhams, Sports Direct und Dixons Carphone. Dies deutet darauf hin, dass Anleger einfach das verkaufen, was vor dem Brexit nicht funktioniert hat.

Investmentmarktvolumen im Direktmarkt wurden im Vorfeld des Referendums gedämpft, und obwohl viele Transaktionen im Angebot sind, ist es zu früh Trends in der Preisgestaltung zu erkennen.

Der Investmentmarkt im Vereinigten Königreich wird von London dominiert, insbesondere wenn es um internationales Kapital geht. London ist seit langer Zeit das wichtigste Ziel für globale Immobilieninvestoren und besaß 2015einen Anteil von 15% an den gesamten globalen Ströme nach Europa. Der Londoner Büromarkt hatte bereits vor dem Brexit begonnen sich zu verändern. Die verlangsamte Ausschreibung von Prime Assets seit Anfang des Jahres kann zum Großteil durch den Preisanstieg über die letzten zwei Jahre und das damit verbundene sinkende Renditeniveau erklärt werden. Dadurch stiegen die Preise gegenüber dem Finanzkriseniveau um 26% mit einem Spitzenkapitalwert für Büros von 36.905 pro Quadratmeter zum Höhepunkt im vierten Quartal 2015. Interessant ist die Feststellung, dass viele der 2016 ausgehandelten Transaktionen eine Ausstiegsklausel für den Fall des Brexits besitzen, der eher als unwahrscheinlich eingeschätzt wurde. Dies hat zu einer Reihe von geplatzten, verzögerten oder zumindest neu verhandelten Transaktionen geführt.

Bevor ein Ausblick gegeben werden kann, ist es wohl sinnvoll, die vergangenen Auswirkungen der Finanzkrise auf den Londoner Büromarkt zusammenzufassen. Zwischen Juni 2007 und Juni 2009 sind die Kapitalwerte des Londoner IPD-Index um 45% gefallen. Nur wenige Marktanalysten erwarten dieses Mal solche erheblichen Negativwerte. Nach Markteinschätzungen von JLL wird der Rückgang der Kapitalwerte in Großbritannien um die 5 bis 20% betragen. Der Grund für diese eher gedämpften Reaktionen auf Preisanpassungen nach dem Brexit im Vergleich zur Zeit nach der Finanzkrise besteht darin, dass die Fundamentaldaten des Marktes anders sind.

Zum einen ist die makroökonomische Situation grundlegend anders und deutlich stärker:

  • Langfristige Zinsen auf einem Rekordtief mit 10-jährigen Gilts erstmals unter 1%
  • Ein strengeres regulatorisches Umfeld mit größerem Kapitalpuffer und Stresstests
  • Abwertung des Sterlings auf ein 30-Jahres-Tief

Auf den Mietmärkten:

  • Die Leerstandsrate in der City of London beträgt 3,4% (15-Jahres-Tief) und es gibt ein knappes Angebot an Grade-A-Büros in den sogenannten „Regions“
  • Der Mietmarkt ist vielfältiger, weniger abhängig vom Finanzsektor und die Nachfrage wird von TMT angetrieben
  • Die Anzahl der spekulativen Büroimmobilien ist gestiegen, bleibt aber noch relativ begrenzt

Auf den Investmentmärkten:

  • Die Abwertung des Sterlings führt dazu, dass der Markt ‚über Nacht‘ günstiger für ausländische Käufer geworden ist
  • Der Spread von risikofreien Zinsen für Spitzenbüroobjekte beträgt knapp 300 bps, was einen Puffer gegen Kursrückgänge bietet
  • Das Leverage ist viel niedriger (87% der Kredite

Unserer Ansicht nach bilden die Fundamentaldaten des UK-Marktes eine hinreichend sichere Grundlage, um die Auswirkungen des Brexits zu einer Anpassung der Werte zu abzumildern, sodass kein Kollaps wie bei der Finanzkrise entstehen wird. Wir erwarten eine ‚Flucht in Qualität‘ mit dem Fokus auf Core-Investments, die die Auswirkungen einer möglichen Krise auf den Mietmärkten nach dem Brexit überstehen können.

Wir erwarten, dass London wegen der Sprache, Transparenz und Leichtigkeit der Geschäftstätigkeiten eins der begehrtesten Ziele für globale Investoren bleiben wird. Bei anhaltend starken globalen Kapitalströmen wird die Abwertung des Sterlings voraussichtlich neue Investmentaktivitäten fördern, sobald sich die Preispolitik beruhigt hat. Diese Aktivitäten werden voraussichtlich von Investoren aus Asien und dem Nahen Osten geführt, von denen viele London weiterhin als ein ideales Tor nach Europa sehen. Erstinvestoren werden durch die Abwertung des Sterlings und ein verhaltenes Angebotsumfeld gefordert, was die Chance ermöglicht, Transaktionen unbemerkt am Markt vorbei abzuschließen.

Zusammenfassend gehen wir davon aus, dass die Kapitalwerte auf dem britischen Markt voraussichtlich sinken, allerdings mit ungleichmäßigem Gefälle: Prime Assets mit langfristigen Mietverträgen werden aufgrund der großen Nachfrage globaler Kapitalquellen nach defensiv ausgerichteten Investments am wenigsten betroffen sein. Wir erwarten, dass außereuropäische Investoren, insbesondere aus Asien und dem Nahen Osten, am aktivsten den Rückgang auf dem Londoner Immobilienmarkt auffangen werden. Europäische Anleger werden vorsichtig bleiben aufgrund der Fokussierung auf Chancen im Binnenmarkt, wo die Fundamentaldaten von Leerstand/Angebot solide erscheinen und wo es kein Währungsrisiko gibt. Allerdings ist zu bedenken, dass die deutschen offenen Investmentfonds – die internationalsten unter den europäischen Investoren – besonders erfolgreich damit gewesen sind, Konjunkturzyklen im Vereinigten Königreich auszumachen und ausgezeichnete Anlagerenditen zu erzielen, insbesondere im Rahmen der Sterling-Aufwertung in den frühen 1990er Jahren.

Dem Mutigen gehört die Welt! Prognose für kontinentaleuropäische Immobilien

Die kurzfristigen Auswirkungen auf die kontinentaleuropäischen Immobilienmärkte werden voraussichtlich den Stellenwert von kapitalsuchenden Core-Investments erhöhen, da einige der globalen Ströme nach Europa umgeleitet werden, zumindest bis es klarere Sicht auf die Preispolitik in London gibt. Die ersten Anzeichen hierfür manifestieren sich bereits in Form von intensiveren Geboten auf Core-Investments in Paris und den sieben Top-Großstädten in Deutschland. Vor dem Brexit betrugen Spitzenrenditen im Bürosektor bereits rund 3,5% in Paris und 4% in Deutschland. Nach dem Brexit sehen wir eine weitere Kompression von 25 bis 50 bps, was sich zwar deutlich teurer anfühlt als traditionelle Immobilien-Benchmarks, aber Investoren doch eine relativ attraktive risikobereinigte Rendite im Vergleich zu Aktien oder Anleihen bietet.

Mit dem kontinuierlichen Fluss von Kapital in den Sektor erwarten wir, dass Investoren ihren Horizont neben den größten Investmentmärkten Großbritannien, Deutschland und Frankreich auf andere Märkte ausdehnen, darunter Benelux, Skandinavien und Spanien. Irland genießt eine Periode steigender Aktivitäten mit internationalen Kapitalströmen nach Dublin. Die mögliche Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit durch die potenzielle Senkung der Körperschaftssteuer im Vereinigten Königreich könnte allerdings zu Gegenwind für die irische Wirtschaft führen, was sich auf den Büromarkt in Dublin auswirken könnte.

Zusammenfassend erwarten wir als unmittelbare Nachwirkung der Brexit-Abstimmung eine Intensivierung des Wettbewerbs für Core-Immobilien in Kontinentaleuropa, die sich auf den Büro- und Retail-Sektor fokussiert."

Cécile Blanchard, Director von Real Estate Market Research & David Rendall, CEO von La Française Forum Real Estate Partners und Head of International Real Estate Business Development


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Quellen: Centre for Economic Performance / London School of Economics and Political Science / JLL / Office for National Statistics (ONS)

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