(Keine) Gründe für Depressionen?

Die Stimmung an den Finanzmärkten ist derzeit hochgradig depressiv. Dafür gibt es mehrere Gründe: die missglückte Kommunikation der EZB vor der Sitzung vom 3. Dezember 2015, die Turbulenzen an den chinesischen Finanzmärkten und der starke Ölpreisverfall. Aber sind das wirklich gute Gründe, um in eine bedrückte Stimmung zu verfallen? "Eindeutig nein!", meint Dr. Harald Preißler Chefvolkswirt und Leiter Anlagemanagement, Bantleon, in einem Gastkommentar auf e-fundresearch.com. Markets | 16.02.2016 14:00 Uhr
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Dr. Harald Preißler
Dr. Harald Preißler
"Unser Makroausblick ist weder pessimistisch noch depressiv. Für das 1. Halbjahr bleiben wir sogar zuversichtlich, dass der globale Konjunkturzyklus nach seinem jüngsten Hänger wieder nach oben drehen und damit eine bessere Grundstimmung der Anleger schaffen kann. Maßgeblich dafür ist unsere Erwartung einer anziehenden US-Konjunktur sowie einer Stabilisierung in China und die im März anstehende Aufstockung der monatlichen QE-Dosis durch die EZB.

Die eigentliche Herausforderung für das Kapitalmarktjahr 2016 lauert im Sommer oder im Herbst, wenn die Auftriebskräfte erneut zu schwinden beginnen, wie unsere weit in die Zukunft blickenden Konjunkturbarometer schon jetzt anzeigen. Dann dürfte die nächste Verunsicherungswelle über die Finanzmärkte hereinbrechen und die EZB sich neuen Forderungen ausgesetzt sehen, die geldpolitische Dosis ein weiteres Mal zu erhöhen. Bis dahin können Anleger jedoch erstmal vorsichtig gelassen bleiben, weil die Konjunktur zumindest in den wichtigen Anlageregionen Eurozone, USA, China sowie in der Schweiz noch keinen Grund zur Sorge gibt.

So gehen wir davon aus, dass die Aktienmärkte im 1. Quartal eine technische Bodenbildung vollziehen, die im 2. Quartal in eine fundamental gestützte Aufwärtsbewegung übergeht. In den Sommermonaten könnten die meisten Indices sogar neue Jahreshöchststände erreichen. Regional sehen wir nach wie vor in Europa das beste Chance-Risiko-Verhältnis. Die solide Binnenkonjunktur und die Aussicht auf einen Zwischenspurt der Exportwirtschaft sprechen für eine anhaltend gute Gewinndynamik der Unternehmen. Der DAX könnte am Ende des 1. Halbjahrs 2016 neue historische Höchststände erreichen, der Eurostoxx50 sowie der SMI dürften zumindest zyklische Highs anpeilen. Die US-Indices sollten sich 2016 wieder besser entwickeln und zumindest auf dem Niveau der anderen wichtigen Aktienmärkte abschneiden. Demgegenüber halten wir uns bei den Schwellenländerbörsen nach wie vor zurück. Die überwiegend schwachen konjunkturellen Frühindikatoren sowie die starken Kapitalabflüsse aus den Emerging Markets sind Warnsignale, die gegen eine schnelle Wende zum Besseren sprechen.

Im 2. Halbjahr ist wegen der konjunkturellen Abkühlung jedoch mit erneuten Rücksetzern in einer Größenordnung von 20 bis 30% zu rechnen – je nachdem wie schnell die EZB einschreitet und die Märkte mit noch mehr Liquidität vor einem nachhaltigen Kollaps abschirmt. Auf der Verliererseite dürften im 2. Halbjahr die besonders zyklischen Aktienmärkte Europas stehen, während die US-Börsen, ebenso wie der SMI, zumindest in relativer Hinsicht zu den Outperformern zählen sollten.

Bei den Anleihen ist die Situation weitaus schwieriger. Wegen der ultra-expansiven Politik der EZB sind die Renditen für deutsche Bundesanleihen extrem nach unten verzerrt und damit weit von ihren Zielrenditen entfernt. Angemessen wären derzeit 2,5 bis 3,0% für 10-jährige Bundesanleihen. Bis zum Jahresende dürften deren Renditen bis auf 0% fallen, vielleicht sogar ins negative Terrain fallen. Schweizer Eidgenossen der gleichen Laufzeit dürften Ende 2016 bei -0,30% liegen. Steigen sollten hingegen die Renditen von US-Treasuries: Bis zum Sommer ist wegen der zyklischen Belebung der US-Wirtschaft und moderat anziehender Inflation ein Anstieg Richtung 2,50% wahrscheinlich.

Eine attraktive Alternative zu klassischen EUR-Nominalanleihen bleiben inflationsindexierte Anleihen. Zum einen resultiert aus dem Ölpreisverfall der vergangenen zwölf Monate ein negativer statistischer Basiseffekt, der die Inflationsraten nach oben treiben sollte. Zum anderen haben sich die eskomptierten Inflationserwartungen zu einer Art Fetisch der Geldpolitik entwickelt, was großes Kurspotential bei inflationsindexierten Anleihen bedeutet. Auch Covered Bonds sind zurzeit attraktiv bewertet. Bei mittleren Laufzeiten beträgt der Aufschlag gegenüber Bundesanleihen rund 30 Basispunkte, bei langen Laufzeiten rund 35 Basispunkte. In den kommenden Monaten sollten die Risikoprämien stabil bleiben oder etwas sinken.

Das hässliche Entlein am EUR-Anleihenmarkt sind seit geraumer Zeit Unternehmensanleihen, weil sie nicht auf der Einkaufsliste der EZB stehen und die globale Konjunktur trübe erscheint. Hinzu kommt die Furcht vor einem kräftigen Anstieg der Zahlungsausfälle bei US-Unternehmensanleihen aus dem Rohstoffsektor, die auf EUR-Unternehmensanleihen abstrahlte. Dennoch sind Unternehmensanleihen aber nach wie vor attraktiv bewertet. Zudem könnte die EZB ihre Anleihenkäufe über kurz oder lang auch auf EUR-Unternehmensanleihen ausdehnen, was den Sektor zusätzlich stützen würde. Im 2. Halbjahr jedoch steht Unternehmensanleihen die nächste Spreadausweitungswelle bevor, die bis an die Höchststände vom Anfang dieses Jahres heranreichen dürfte.

Ebenfalls unter Druck standen zuletzt die Rohstoffmärkte, die 2015 ihr fünftes negatives Jahr in Folge abgeschlossen haben, was aber hauptsächlich dem freien Fall der Rohölpreise geschuldet ist. Beim Ölpreis ist abzusehen, dass die übergeordnete Abwärtsbewegung noch nicht vorüber ist. Die Preise dürften wohl erst dann nachhaltig steigen, wenn sich das Feld der neuen Anbieter lichtet und sich die Fördermengen in Richtung des Verbrauchsniveaus zurückbilden. Einzelne Hinweise dafür gibt es bereits. Bei den Industriemetallen ist die Lage zwar nicht ganz so prekär wie beim Rohöl, dennoch sind die Notierungen seit Ende 2014 auch dort zweistellig gesunken. Hierin spiegelt sich vor allem die rückläufige Nachfrage der chinesischen Schwerindustrie. Hinzu kam die Schwäche im globalen Industriesektor. Insgesamt sehen wir gute Chancen für eine Bodenbildung und anschließende Erholung bei Industriemetallen und anderen zyklischen Rohstoffen.

Auch beim Goldpreis, der zwischenzeitlich fast 50% unter seinen historischen Höchstständen vom Sommer 2011 notierte, sehen wir Anlass zur Hoffnung auf eine Erholung. Dafür spricht unsere Prognose sinkender Realzinsen von US-Treasuries (die Inflation sollte stärker steigen als die Renditen der Nominalbonds). Dadurch verliert der wichtigste Konkurrent des Goldes erheblich an Attraktivität, was dem Edelmetall eine neue Blütephase bescheren dürfte.

Fazit: Die Stimmung an den meisten Finanzmärkten ist derzeit deutlich schlechter als die Lage. Fundamental gibt es keine Gründe für eine depressive Stimmung. Dennoch dürften die Finanzmärkte volatil bleiben. Für Anleger gibt es deshalb zwei Optionen: entweder die resignierte Flucht in den Geldmarkt. Oder aber eine Guerillataktik, also der phasenweise Aufbau von Risikopositionen – verbunden mit der Bereitschaft, den Finanzmärkten zwischenzeitlich auch wieder den Rücken zuzukehren."

Dr. Harald Preißler
Chefvolkswirt und Leiter Anlagemanagement
Bantleon


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