Kann der Euro zerbrechen?

Martin Hüfner, volkswirtschaftlicher Berater der Vermögensanlagebank direktanlage.at, sieht in nächster Zukunft "nur" eine weitere Abschwächung des Euro als wahrscheinlich. Näheres entnehmen Sie bitte Hüfners aktuellem Marktkommentar. Funds | 15.02.2010 11:04 Uhr
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  • Die Bewegung des Euro/Dollar-Kurses an den Märkten ist nervöser geworden.
  • Keine der derzeit diskutierten Belastungen ist für den Euro „lebensgefährlich“. Das wirkliche Problem liegt in der mangelnden Integration in der Politik.
  • Wahrscheinlich ist eine weitere Abschwächung des Euro, bevor er wieder stärker wird.

Der Verlauf des Euro-Kurses ist in den letzten eineinhalb Jahren unruhiger geworden. Zuerst fiel er innerhalb von wenigen Monaten von 1,60 auf 1,24 Dollar. Dann stieg er wieder auf 1,51 Dollar. Von dort aus fiel er erneut in kurzer Zeit auf jetzt 1,37 Dollar. Solche hektischen Bewegungen gab es bei Währungskrisen in Zeiten der D-Mark häufiger. Im Euro waren sie bisher ungewöhnlich.

Die Abwertungen des Euro sind angesichts der zahlreichen Belastungen der letzten Zeit verständlich. Zuerst war es die Finanzkrise, die vor allem deutsche Institute hart traf. Dann das Auseinanderlaufen der Leistungsbilanzsalden insbesondere zwischen Spanien und Deutschland. Dann kamen die hohen öffentlichen Defizite. Und schließlich noch das Vertrauensproblem in Griechenland, das die Schätzung für den Haushaltsfehlbetrag von einem Tag auf den anderen auf 13% erhöhte. Niemand sagt es, aber manch einer denkt es: Könnte es sein, dass der Euro damit nach den zehn Jahren außerordentlichen Erfolges in seiner Existenz gefährdet ist?

Schauen wir uns die Gefahren näher an. Die Tatsache, dass es eine so große Zahl von Belastungen gibt, ist zwar unerfreulich. Sie erklärt auch die Abwertungen. Sie ist aber kein Grund, an der Währung insgesamt zu zweifeln.

So etwas passiert immer wieder. Die DMark ist in den 80er Jahren bis auf 3,47 DM je Dollar gefallen (entspricht 0,56 Euro/Dollar).

Die Tatsache, dass Griechenland mit seinen Zahlen zu den öffentlichen Finanzen getrickst hat, ist ebenfalls unangenehm. Das gilt gerade in einer Welt, in der Analysten eine so große Rolle spielen und sich alle Zahlen genau anschauen. Aber ein Grund für einen Zerfall des Euro ist das nicht. Es hat in der Geschichte des Euro noch nie eine Währungsspekulation gegen ein einzelnes Land gegeben, auch jetzt nicht gegen Griechenland. Das ist ein gutes Zeichen.

Die Tatsache, dass die öffentlichen Defizite in einigen Ländern der Eurozone so stark gestiegen sind, ist auch kein Grund für ernsthafte Schäden am Euro. Natürlich sind die Maastricht-Kriterien und der Stabilitätspakt, die die Fehlbeträge in Grenzen halten sollten, wichtiger Grund für die Stabilität und den Erfolg des Euro. Wer sich daran nicht hält, muss bestraft werden. Und wenn er dauerhaft gegen die Regeln verstößt, muss er aus der Währungsunion austreten. Das ist juristisch derzeit zwar nicht möglich. Aber wenn es nötig ist, findet man auch einen Weg. Selbst der Bankrott des Landes würde den Euro in seiner Existenz nicht zwangsläufig gefährden. In den USA waren im 19. Jahrhundert zeitweise zehn Staaten auf einmal pleite.

Vor ein paar Jahren war New York akut in Schwierigkeiten. Derzeit ist es Kalifornien. In Deutschland galt Bremen in den 70er Jahren als schlechter Schuldner.

Schwieriger ist die Situation mit den steigenden Leistungsbilanzsalden. An sich sind Überschüsse und Fehlbeträge einzelner Regionen in einer Währungsunion kein Problem. Es gibt sie auch innerhalb der Nationalstaaten. In Deutschland haben die neuen Bundesländer nach wie vor ein riesiges Defizit gegenüber den alten Bundesländern. München hat gewaltige Salden gegenüber dem Bayerischen Wald. So etwas wird problemlos durch innerstaatliche Kapitalbewegungen finanziert. Auch in der EU gibt es einen funktionierenden Geld- und Kapitalmarkt und europaweit tätige Banken, die das tun. Die Europäische Zentralbank publiziert gar keine Leistungsbilanzsalden der einzelnen Mitgliedsländer mehr. Sie geht davon aus, dass sie keine Rolle mehr spielen.

Innereuropäische Leistungsbilanzsalden sind aber natürlich ein Problem des Wachstums und der Beschäftigung in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Wer ein Defizit in den laufenden Posten hat, produziert weniger als er nachfragt. Es gibt also weniger Beschäftigung. Spanien hat mit 20% inzwischen die höchste Arbeitslosigkeit in der Eurozone. Umgekehrt profitiert Deutschland auf seinem Arbeitsmarkt von dem Exportüberschuss. Früher hat man solche Differenzen durch einmalige Abwertungen der Defizit- beziehungsweise Aufwertungen der Überschussländer beseitigt. In einer Währungsunion geht das nicht mehr. Hier benötigt man eine mühsame und langwierige Deflationspolitik (oder eine Inflation in den Überschussländern - was aber dem Geist des Euro widerspricht). Deutschland hat das in den Jahren 1995 bis 2005 durchexerziert. Seine Leistungsbilanz drehte sich in dieser Zeit von einem Defizit von gut 20 Mrd. Euro auf einen Überschuss von über 100 Mrd. Euro. Ein solcher Anpassungsprozess steht auch Spanien bevor.

Gibt es also nichts, was den Euro in Gefahr bringen könnte? So einfach ist es leider nicht. Entscheidend für den Erfolg einer Währungsunion ist, dass sich die Mitglieder auf eine gemeinsame Politik einigen. Dass also Defizitländer die deflatorischen Anpassungen vornehmen und nicht stattdessen die Überschussländer zu einer inflatorischen Politik zwingen wollen. Oder dass die Mitglieder die gemeinschaftlich beschlossene Geldpolitik durch ihre Fiskalpolitik nicht konterkarieren. In der Geschichte sind alle die Währungsunionen gescheitert, die sich nicht auf eine gemeinsame Geld- und Finanzpolitik einigen konnten oder wollten.

In der Eurozone funktioniert die gemeinschaftliche Geldpolitik gut. Natürlich gibt es immer Meinungsverschiedenheiten. Daran ist bisher aber nie eine wichtige Maßnahme gescheitert. Bei der Fiskalpolitik sieht es leider nicht so gut aus. Sie wird in der Euro-Gruppe zwar auch koordiniert, aber nicht so, wie es sein sollte. Eine gemeinsame Wirtschafsregierung, die in den letzten Wochen wieder ins Gespräch gekommen ist, wäre sicher hilfreich.

Wichtig ist aber, dass es auch in den übrigen Bereichen der Politik einen Konsens gibt. Hier ist in den letzten Jahren leider eine Renationalisierung zu beobachten. Das ist im Augenblick für den Euro noch nicht gefährlich. Wenn es sich aber fortsetzen und verstärken sollte, kann es sich zu einem Sprengsatz entwickeln. Die Politiker müssen sich dieser Gefahr bewusst sein. Die Renationalisierung der Politik hängt damit zusammen, dass die europäische Idee zunehmend verblasst. Sie beruhte bisher im Wesentlichen darauf, dass die Gemeinschaft ihren Mitgliedern Frieden nach den Weltkriegen brachte. Das begeistert heute niemanden mehr, weil Frieden in Europa inzwischen als selbstverständlich gilt. Vielleicht kann man die Union und die gemeinsame Politik künftig besser damit begründen, dass sie stabiles Geld garantiert. Das ist etwas, was die Menschen interessiert. Es könnte auch die Politik wieder mehr motivieren.

Für den Anleger: Vertrauen Sie weiter dem Euro. Er wird nicht auseinander fallen. Er hat sich national und international besser etabliert als gedacht und auch besser als die Europäische Union selbst.

Kurzfristig spricht viel dafür, dass sich der Euro weiter in Richtung 1,20 Dollar abwertet, bevor er wieder Fahrt nach oben nimmt.

Dr. Martin Hüfner
Volkswirtschaftlicher Berater
direktanlage.at

 


 

Über Dr. Martin Hüfner:

Martin Hüfner war viele Jahre Chefvolkswirt bei der HVB und Senior Economist bei der Deutschen Bank. Heute berät er Finanzdienstleister und schreibt für verschiedene Publikationen. Hüfner ist seit 2006 volkswirtschaftlicher Berater des führenden österreichischen Discount-Brokers direktanlage.at.

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