Signale stehen auf Rezession

Martin Hüfner, volkswirtschaftlicher Berater des führenden österreichischen Discount-Brokers direktanlage.at, sieht Anzeichen für eine drohende Rezession. Vor allem die Nachricht über ein drastisches Einbrechen des Wirtschaftswachstums in Deutschland sorge unter Experten derzeit für viel Aufregung. "Es sieht in der Tat schrecklich aus", so Hüfner. Funds | 15.08.2008 06:00 Uhr
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Seit kurzem gab es viel Aufregung, dass das Wachstum der deutschen Wirtschaft im zweiten Quartal drastisch eingebrochen sein könnte. Die ersten – nicht offiziellen – Schätzungen gehen davon aus, dass das reale Bruttoinlandsprodukt gegenüber dem Vorquartal mit einer Rate von 4% (annualisiert) geschrumpft ist. Das sieht in der Tat schrecklich aus. Stehen wir wirklich vor einer Wende der Konjunktur? Oder ist dies alles ein Sturm im Wasserglas?

Wieder Wachstum über 2% in Deutschland? Wohl eher nicht!

Zunächst muss man sagen, dass es von Anfang an klar war, dass das zweite Quartal schlecht würde. Das gute Wachstum des ersten Quartals (plus 6% annualisiert) konnte sich so nicht fortsetzen. Selbst bei einem Minus von 4% (annualisiert) ergibt sich für das erste Halbjahr insgesamt aber noch ein Plus von 2%. Das ist ordentlich. Es liegt über der Rate, mit der das deutsche Produktionspotenzial wächst. Wenn es im dritten und vierten Quartal so weitergehen sollte, dann bekämen wir in Deutschland 2008 wieder ein Wachstum von über 2%.

Leider ist damit aber nicht zu rechnen. Denn in den letzten Wochen haben sich die Konjunkturperspektiven weltweit drastisch eingetrübt:

  • Am schlimmsten ist es in Europa. In Deutschland sind die Auftragseingänge so stark abgestürzt wie zuletzt vor 16 Jahren. Vor allem die Auslandsorders aus der Eurozone gingen zurück. Zudem sind die Erwartungen gemessen an den Geschäftsklimaindizes von Ifo und ZEW eingebrochen. Die Unternehmen werden auch mit langfristigen Kapazitätsplanungen vorsichtig. BMW sagt den Bau eines geplanten neuen Werks in Nürnberg ab. Auch in anderen Teilen Europas ist die Stimmung schlecht. Viele sagen, dass sich Spanien, nicht zuletzt wegen des Rückgangs der Häuserpreise bereits in einer Rezession befindet.
  • In den USA ist die Aktion mit den Steuerschecks ausgelaufen. Der Konsum erhält keine weiteren Impulse. Die Immobilien- und die Finanzkrise halten aber an. Einige Banken beginnen, die Konsumentenkredite zu kürzen. Die einzige stabile Wachstumsstütze ist der Außenbeitrag, also die wachsenden Exporte und die rückläufigen Importe. Ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in einem oder mehreren der folgen Quartale ist nicht mehr ausgeschlossen.
  • In Japan spricht man schon offiziell von Rezession. Das Wachstum soll in den nächsten drei Quartalen nur noch 0,1% betragen (was schnell auch in ein Minus umschlagen kann). Die Regierung legt ein Konjunkturprogramm mit höheren Ausgaben auf.
  • In China mehren sich die Zeichen für eine weitere Abschwächung nach den olympischen Spielen. Das langsamere Wachstum des zweiten Quartals (immer noch 10,1%) liegt an nachlassenden Exporten. Hinzu kommt die Inflation (7,1%), die auch dort an der Kaufkraft zehrt.

Abschwung...

Das sieht nicht nach einem Ende des Aufschwungs aus. Das ist ein Abschwung. Die schwachen Entwicklungen in den einzelnen Regionen der Welt schaukeln sich gegenseitig hoch. Jeder importiert die Probleme des anderen. Die Volumina des internationalen Frachtverkehrs – erfahrungsgemäß ein verlässlicher Indikator für die weitere Konjunktur – gehen zurück. Die Industrieländer haben schon weniger für das Weihnachtsgeschäft geordert.

Keine verlässlichen Gegenkräfte

Was noch mehr beunruhigt ist die Tatsache, dass zurzeit keine verlässlichen Gegenkräfte gegen eine Fortsetzung des Abschwungs erkennbar sind. Alle hoffen auf den Export. Es geht aber schon rein logisch nicht, dass alle mehr exportieren, wenn nicht irgendjemanden auch mehr einführt. Hoffnungen werden auch auf die Rohstoffpreise gesetzt. Sie haben sich in den letzten Wochen deutlich verringert. Das stärkt die Kaufkraft der Verbraucher und entlastet die Unternehmen. Andererseits geben die Konsumenten das an der Tankstelle gesparte Geld nicht so schnell für anderes aus, wenn sie generell verunsichert sind. Zudem führen niedrigere Ölpreise auch dazu, dass die Rohstoffexporteure weniger im Ausland kaufen. Das fehlt dann bei den Ausfuhren.

Positiv kann sich der Lagerzyklus auswirken. Hilfreich ist auch, dass die Unternehmen aus Wettbewerbsgründen weiter investieren müssen, unter anderem in den Ausbau der Computernetze für immer größere Datenmengen. Auch von der Fiskalpolitik werden über die so genannten automatischen Stabilisatoren Entlastungen ausgehen (rückläufige Steuereinnahmen bei tendenziell steigenden Ausgaben).

Keine schnelle Entlastung seitens der Zentralbanken

Wenn die Wirtschaft noch weiter abstürzt, wird es auch neue Konjunkturprogramme geben. (In Deutschland sind im nächsten Jahr Wahlen.) Von den Zentralbanken ist dagegen angesichts der nach wie vor hohen Inflation keine schnelle Entlastung zu erwarten. Die Federal Reserve hat nach ihrer Zinssitzung von dieser Woche deutlich gemacht, dass sie nicht an weitere Lockerungen denkt. Richard Fisher von der Federal Reserve in Dallas hat sogar für eine Zinserhöhung gestimmt. Südkorea hat diese Woche die Zinsen erhöht.

Es gibt also Gegenkräfte, die einen Abschwung aufhalten oder zumindest bremsen können. So richtig überzeugend und stark sind sie aber nicht. Immerhin hält die Immobilienkrise. Die Banken leiden nach wie vor unter hohen Abschreibungen. Die Ölpreise sind auch bei dem jetzigen Niveau noch hoch (zu Jahresbeginn lagen sie bei 100 Dollar je Barrel). Der Dollar ist gemessen an den Fundamentalfaktoren zu schwach. Die Unsicherheit bei Verbrauchern und Unternehmen ist groß und wird noch steigen, wenn die Arbeitslosigkeit zunimmt.

Jahrhundert-Krise?

Das ist beunruhigend. Ob es – wie der frühere US-Notenbankpräsident Alan Greenspan dieser Tage schrieb – eine „Jahrhundert-Krise“ wird, kann man heute noch nicht sagen. Ich persönlich glaube es nicht. Nach einer solchen Häufung von schlechten Meldungen (vor allem in der nachrichtenarmen Sommerzeit) wird es auch wieder bessere geben. Eine Rezession auch in Staaten Europas schließe ich aber nicht mehr aus. Für den Anleger: Das sind keine guten Nachrichten für die Unternehmensgewinne und damit auch nicht für den Aktienmarkt. Andererseits wird sich die schlechtere Konjunktur positiv auf Inflation auswirken und die Zinsen drücken. Das hilft. Zudem sind die Aktienkurse bei einer Reihe von Unternehmen inzwischen so attraktiv, dass internationale Investoren wieder ans Kaufen denken (und betroffene Übernahmekandidaten an mögliche Abwehrstrategien).


Zum Autor: Martin Hüfner war viele Jahre Chefvolkswirt bei der HVB und Senior Economist bei der Deutschen Bank. Heute berät er Finanzdienstleister und schreibt für verschiedene Publikationen. Hüfner ist seit 2006 volkswirtschaftlicher Berater des führenden österreichischen Discount-Brokers direktanlage.at.


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