Was wäre, wenn die Rohstoffpreise sinken?

Es ist gar nicht so unwahrscheinlich, dass die Rohstoffpreise nach der jahrelangen Aufwärtsbewegung auch einmal sinken. Die alte Regel, dass sinkende Rohstoffpreise für die Industrieländer in Europa etwas Gutes sind, gelte aber nicht mehr, so der direktanlage-Volkswirt Dr. Martin Hüfner. Funds | 11.04.2008 06:00 Uhr
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Aufgabe der Volkswirte ist es, Ungleichgewichte zu identifizieren, die die Wirtschaft und vor allem die Finanzmärkte in Zukunft bewegen könnten. Ein solcher Fall könnten die Rohstoffpreise sein. Sie haben nach dem dramatischen Anstieg seit 2001 seit Jahresbeginn noch einmal gewaltig zugelegt (im Schnitt über 20%). Ist das noch gesund und mit fundamentalen Gründen zu rechtfertigen? Oder könnte es sein, dass hier eine neue Blase entstanden ist, die demnächst platzen könnte?

Was würde es für Wirtschaft und Kapitalmärkte bedeuten?

Viele halten einen stärkeren und länger andauernden Rückgang der Rohstoffpreise für wenig wahrscheinlich. Schon der berühmte Club of Rome hatte vor fast 50 Jahren nachgewiesen, dass Rohstoffpreise eigentlich nur steigen könnten. Mit wachsender Bevölkerung und zunehmendem Lebensstandard in der Welt erhöht sich die Nachfrage nach Rohstoffen. Das Angebot kann damit wegen der Begrenztheit der natürlichen Reserven nicht mithalten.

Schluß mit dem Preisanstieg?

Die Folge sind zunehmende Knappheiten, die die Preise nach oben treiben. In den vergangenen Jahren ist vor allem die Nachfrage aus China und Indien stark gestiegen. Leider hat die Realität der Theorie nicht den Gefallen getan, sich entsprechend zu verhalten. Wenige Jahre nachdem der Club of Rome seine Prognose veröffentlicht hatte, ging es mit den Rohstoffpreisen nicht mehr bergauf, sondern bergab. Von 1980 bis 2001, also insgesamt mehr als 20 Jahre, verringerten sich die Preise der Industrierohstoffe real (das heißt nach Abzug der allgemeinen Inflation) um über 60%, die der Nahrungsmittel sogar um fast 80%. Und das obwohl auch damals die Schwellenländer schon mit erheblichen Raten wuchsen. Die Gründe waren, dass neue Reserven entdeckt wurden, dass die Produktivität der Rohstoffgewinnung zunahm und dass sich die Nachfrage wegen höherer Preise und eines gestiegenen Umweltbewusstseins nicht so stark erhöhte. Das zeigt, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass Rohstoffpreise immer nur nach oben gehen.

Was würde es bedeuten, wenn so etwas jetzt wieder passieren würde? An sich sind sinkende Rohstoffpreise für die Industrieländer etwas Gutes. Die Inflation geht zurück. Die Konsumenten haben mehr Geld, um andere Dinge zu kaufen. Die Zentralbanken können die Zinsen senken. Die 80er und 90er Jahre waren daher für die Industrieländer insgesamt eine gute Zeit. Es gab hohes Wachstum, relativ stabile Preise und steigender Aktienkurse.

Wachstum durch steigende Rohstoffexporte

Leider hat sich die Welt inzwischen aber in vielerlei Hinsicht verändert, so dass die alten Zusammenhänge nicht mehr oder nur noch eingeschränkt gelten.

  • Erstens spielen die Verlierer einer Rohstoffpreissenkung, also die Rohstoffproduzenten, heute eine größere Rolle für die Weltwirtschaft. Die Hälfte der viel zitierten BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) ziehen einen Großteil ihres Wachstums aus steigenden Rohstoffexporten (Brasilien und Russland). Dazu kommen unter den Schwellenländern so wichtige Staaten wie Indonesien, Malaysia und Thailand, Argentinien, Venezuela und Chile, von Afrika mit seiner inzwischen hohen Dynamik in weiten Teilen ganz zu schweigen. Es ist schwer vorstellbar, dass die Weltwirtschaft (die durch die konjunkturelle Schwäche der USA ohnehin angegriffen ist), einen Rückschlag in diesen Regionen ohne größere Einbußen hinnehmen würde.
  • Zweitens sind die Rohstoffexporteure inzwischen auch zu wichtigen Handelspartnern geworden. In der Bundesrepublik Deutschland gehen zum Beispiel rund 7% der gesamten Ausfuhren an die großen Rohstoffexporteure. Das sind nicht viel weniger als die deutschen Lieferungen in die Vereinigten Staaten. Diese Entwicklung hatte in den letzten Jahren geholfen, die inflationsbedingten Belastungen des Konsums durch mehr Exporte in die Rohstoffländer zu kompensieren. Wenn jetzt die Rohstoffländer nicht mehr so viel Geld zur Verfügung hätten, würden sie auch weniger im Ausland einkaufen. Das würde dann umgekehrt dazu führen, dass in den Industrieländern wichtige Exporte wegbrechen würden.

So viel Liquidität wie selten zuvor

  • Drittens sind die Effekte sinkender Rohstoffpreise auf die Inflation nicht mehr so positiv. In den 80er Jahren waren diese Wirkungen deshalb so stark, weil sie durch eine außerordentlich restriktive Geldpolitik in den Industrieländern unterstützt wurden. In den USA wurden die Zinsen damals massiv erhöht und die Geldmenge drastisch verknappt. Heute haben wir so viel Liquidität auf den Märkten wie selten zuvor. Das wird sich früher oder später auch in höherer Inflation niederschlagen und die positiven Effekte niedrigerer Rohstoffpreise zumindest konterkarieren.
  • Viertens spielen die Rohstoffländer heute auf den Kapitalmärkten eine viel aktivere Rolle. Wenn die Staatsfonds dieser Länder nicht mehr so viel Geld zur Verfügung haben, dann wirkt sich das negativ auf die Finanzmärkte aus. Es wird heute zwar sehr viel über die Staatsfonds geklagt. Tatsächlich waren sie in den letzten Jahren aber durch ihre Käufe eine wichtige Stütze der Aktienmärkte. Sie haben auch bei der Bewältigung der ersten Runde der Finanzkrise geholfen, indem sie Banken Kapital zur Verfügung stellten.

"Mixed blessing"

  • Fünftens hat das Leistungsbilanzdefizit der USA heute eine viel größere Dimension. Es würde sich durch niedrigere Rohstoffpreise zwar erfreulich verringern. Es ist inzwischen aber so groß, dass es auch ein Finanzierungsproblem aufwirft. Und dieses wird schwieriger, wenn die Rohstoffländer weniger Geld zur Verfügung hätten. Die Folge wäre, dass die USA die Zinsen erhöhen müssten (was die dortige Konjunktur belastet), gleichzeitig aber der Dollar schwächer würde (was die Lage für die Europäer schwieriger machen würde).

Fazit

Insgesamt gesehen wäre eine Rohstoffpreissenkung unter den heutigen Bedingungen für die Weltwirtschaft und die Finanzmärkte also bestenfalls eine „mixed blessing“ (eine gemischte Gemengelage). Vermutlich würden am Ende sogar die negativen Effekte überwiegen.

Was sollte der Anleger tun?

Zunächst einmal natürlich Vorsicht bei Rohstoffpreisspekulationen auf dem derzeitigen Niveau. Das ist keine „sichere Wette“ mehr. Vorsicht auch bei der internationalen Diversifikation von Anlagen. Es ist kein Naturgesetz, dass es den Schwellenländern immer gut geht und dass sie stärker wachsen und ihre Aktienmärkte immer nach oben gehen. Andererseits würde bei einem Rückgang der Rohstoffpreise Japan als Anlageland wieder interessant. Es ist nach wie vor der Rohstoffimporteur par excellence. Schließlich Vorsicht bei Engagements in Umwelt- und Nachhaltigkeitswerten. Sie würden unter einer Rohstoffpreissenkung leiden.


Zum Autor: Dr. Martin Hüfner ist Chef-Ökonom und volkswirtschaftlicher Berater bei direktanlage.at


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