Die Grenzen des Steuerstaates

Dr. Georg Graf von Wallwitz, Geschäftsführer und Portfoliomanager bei Eyb & Wallwitz, kommentiert im folgenden Gastkommentar die Grenzen des Steuerstaates. Erfahren Sie mehr hier: Economics | 19.07.2012 15:07 Uhr
Dr. Georg Graf von Wallwitz, Eyb & Wallwitz / © public imaging
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„Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.“
Joseph Schumpeter

Wenn ein Land völlig überschuldet ist und sich in einer auseinanderbrechenden Währungsunion befindet, dann ist es gut beraten, sich einen sensationellen Finanzminister zu holen. Den Österreichern ist das fraglos gelungen, damals, im Jahr 1919. Mit Joseph Schumpeter machten sie den brillantesten Ökonomen auf dem Kontinent zum Verantwortlichen für das von Krieg und Gebietsverlusten gezeichnete Budget. Da zu dieser Zeit auch noch die Tschechen oder Ungarn sich mit eigenen Währungen selbständig zu machen begannen, stand Schumpeter vor zwei irgendwie aktuellen Fragen: Wie saniere ich einen völlig überschuldeten Haushalt und wie stabilisiere ich die zerfallende Währung?

Für das Amt des Finanzministers hat er ein Jahr zuvor eine Art Bewerbungsschreiben verfasst unter dem Titel „Die Krise des Steuerstaates“. Darin holt er weit aus und beschreibt die Möglichkeiten, die der Politik in einer solchen Lage bleiben. Und wenn einer der größten Ökonomen in dieser Lage die Optionen beschreibt, lohnt es sich heute jedenfalls zuzuhören. Die erste Möglichkeit, die Schumpeter erwägt, ist die Erhöhung der indirekten Steuern. Diese lassen sich aber nicht beliebig erhöhen. Sie haben eine aus Sicht des Staates optimale Höhe, wenn sie einen maximalen Ertrag bringen. Erhöht man sie darüber hinaus, so dämpfen sie die wirtschaftliche Aktivität so stark, dass sie sogar weniger einbringen. So wurde beispielsweise die Tabaksteuer in Deutschland seit dem Jahr 2002 so weit angehoben, dass jede weitere Erhöhung geringere Einnahmen für den Staat bedeuten würde. Die Leute hören einfach auf zu rauchen, es wird ihnen zu teuer. Über indirekte Steuern kann der Staat sich also nicht sanieren.

Die zweite Möglichkeit sind direkte Steuern. Auch hier kann der Staat nicht unbegrenzt zugreifen ohne sich langfristig zu schaden. Schöpft man die Gewinne der Unternehmer zu stark ab, verlieren sie die Lust, etwas Neues zu gründen. Wer geht schon gerne das Risiko der Selbständigkeit ein, wenn die Früchte der Arbeit doch an den Staat gehen. Wenn Frankreich, wie vom neuen Präsidenten Hollande vorgeschlagen, tatsächlich einen Spitzensteuersatz von 75% einführt, züchtet es sich eine Generation von Beamten heran. Besteuert man Kapitalzins oder den Arbeitnehmerlohn zu hoch, so haben beide die Tendenz, sich ins Ausland zu begeben. Die Steuern bewirken hier, dass die Preise steigen, da sie letztlich ein Ansteigen der Produktionskosten bewirken. Für die Wirtschaftsleistung hat dies die selbe hemmende Wirkung wie die indirekten Steuern. Über höhere Steuern kann der Staat sich, wenn die Verschuldung einen gewissen Punkt überschritten hat, also nicht mehr retten: „Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerstaats hat ihre Grenzen ... in einem für den Steuerstaat fatalen Sinn. Wenn nun der Wille des Volkes nach immer höheren gemeinwirtschaftlichen Ausgaben geht und immer größere Mittel für Zwecke verwendet werden, für die sie der Private nicht geschaffen hat, ... dann ist der Steuerstaat überwunden und die Gesellschaft auf andere Triebfedern der Wirtschaft angewiesen als die Individualegoismen. ... Kein Zweifel, der Steuerstaat kann zusammenbrechen“ (S. 352f.)

Der Staat braucht aber frisches Geld, sonst versinkt er in der Schuldenfalle. Wenn die Besteuerung es nicht richten kann, was dann? Geld zu drucken, hält Schumpeter für eine Sackgasse. Der Verfall der Währung wäre dann nicht mehr aufzuhalten. Ungarn und Tschechen würden sich dann noch schneller verabschieden. Außerdem hält Schumpeter es für extrem schwierig, aus der Inflationsspirale wieder auszubrechen, wenn die Zentralbank einmal mit dem Drucken angefangen hat. Inflation ist für ihn keine Lösung, ihre Nebenwirkungen sind zu unheimlich. Den einzig gangbaren Weg sieht Schumpeter in einer einmaligen Vermögensabgabe. Das ist die Idee, auf die nun auch das DIW in einer Studie zum Thema Staatsfinanzen gekommen ist. Konkret sieht Schumpeter die Streichung eines guten Teils der Kriegsanleihen vor. Auf Neudeutsch würde man „Haircut“ dazu sagen, so wie er jüngst in Griechenland praktiziert wurde. Damit haben zwar viele Menschen weniger Vermögen auf dem Konto, aber vom verbleibenden Geld können sie sich wenigstens etwas kaufen. Im Fall einer Inflation behalten alle ihr Geld, können damit aber immer weniger anfangen. Die Vermögensabgabe muss einmalig bleiben, ein „Reichsnotopfer“ (wie es 1919 dann die Deutschen nannten), das hoch ausfällt, damit der Effekt der permanent hohen Besteuerung sich nicht einstellt (Lustlosigkeit der Unternehmer, Kapitalflucht, „Republikflucht“ der Arbeitnehmer). Wenn die Staatsfinanzen aber einmal saniert sind und die Währung stabilisiert ist, fließt wieder Kapital ins Land, die Zinsen sinken und die Wirtschaft fasst wieder Tritt. Wichtig ist, dass die Abgabe tatsächlich aus der Not geboren und hoch genug ist, um eine Wiederholung glaubhaft ausschließen zu können. Schumpeter ist da ein gutes Stück weiter als das DIW, das deutsche Vermögen besteuern will, ohne dass Deutschland bislang in Not geraten ist. Wenn ohne Not ein Notopfer verlangt wird, wittert das Kapital eine erhebliche Wiederholungsgefahr und wandert ab. Spanien und Italien sind in Not, Deutschland aber noch nicht. Hier wäre derzeit der Schaden einer solchen Abgabe höher als der Nutzen. In der Studie des DIW kommt dieser zentrale Gedanke Schumpeters nicht vor, wie der Autor überhaupt die Abhandlung über die Krise des Steuerstaates nicht zu kennen scheint.

Schumpeter bemerkt in seiner Abhandlung noch, dass ein solcher Haircut politisch wahrscheinlich nicht durchsetzbar wäre. Das hat ihn dann in seiner Rolle als Finanzminister dennoch nicht abgehalten, dafür einzutreten, was er für ökonomisch vernünftig hielt. Aber die Vernunft hatte es damals so schwer wie heute und in der Tat ist er mit seinem Plan gescheitert. Er verdankte seinen Posten der konservativen Partei, deren Klientel über die Aussicht auf einen expliziten Vermögensverlust nicht erbaut war. Sie zog es vor, den Kopf noch für einige Monate in den Sand zu stecken, bis die Inflation einen noch viel verheerenderen Effekt herbeiführte. Schumpeter wurde als Minister recht bald wieder entsorgt. Zum Abschied ließ er sich von seinem Ministerium aber noch eine Banklizenz geben, denn er sah genau, was kommen würde: In Zeiten einer hohen Inflation muss man in der Lage sein, sich Geld zu borgen und dafür Aktien und Rohstoffe kaufen. Eine Banklizenz ist dafür das ideale Mittel. So scheiterte Schumpeter als Minister, wurde dann aber als Spekulant sehr schnell sehr reich. Ein paar Jahre lebte er ausgesprochen gut auf Kosten der Inflation, bis 1924 die Währungsreform kam. Seine Wetten passten plötzlich nicht mehr in die Zeit und Schumpeter verlor alles. Nun musste er auf Jahre hinaus Schulden bedienen, ganz ohne Hilfe der Inflation.

Die Situation des Jahres 2012 ist anders: Die Haushalte der Lateineuropäer sind nicht von Kriegen verwüstet. Aber dennoch steht die Entscheidung an, woher das Geld für die Sanierung der Haushalte kommen soll. Und das bedeutet, dass die Europäer bald erfahren werden, dass sie nicht so wohlhabend sind, wie sie bislang gedacht haben. Haircut und Inflation sind die Skylla und Charybdis, an denen die Europäer vorbei müssen. Entweder es gibt explizite Pleiten wie in Griechenland, wo die Gläubiger nach dem Schumpeter-Rezept auf ihre Forderungen verzichten müssen. Solche Maßnahmen müssen nicht auf Staatsanleihen beschränkt bleiben. Anleihen von lateineuropäischen Banken, die sich mit heimischen Staatsanleihen vollgesogen haben, sind ebensolche Kandidaten für Schuldenstreichungen. Oder die EZB sorgt für eine höhere Inflation und wir bekommen auf diese Weise einen Vermögenstransfer von den Gläubigern zu den Schuldnern.

Andere Alternativen gibt es heute so wenig wie 1919. Da aber keine Regierung Überbringer der schlechten Nachricht sein möchte, spielen manche auf Zeit. Andere, wie die Franzosen, die sowieso ein Volk von Beamten sind, zaubern den Steuerstaat aus dem Hut, von dem Schumpeter gezeigt hat, dass er die Aufgabe nicht lösen kann. Auf die eine oder andere Weise wird sich das Problem lösen. Wohl dem, der dann eine Banklizenz hat.

Dr. Georg Graf von Wallwitz


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